War es für weibliche Fachkräfte schon immer eine Herausforderung Karriere und Familie in Einklang zu bringen, brachte COVID-19 ein ganz neues Maß an Doppelbelastung: Schulen und Kindertagesstätten waren auf einmal geschlossen, die Kinder den ganzen Tag daheim, während die Eltern auf Heimarbeit umstellten. Auf einmal mussten Mütter sämtliche Rollen gleichzeitig übernehmen – Berufstätige, Hausfrau, Erzieherin und oftmals Ersatzlehrerin im Bemühen um Fernunterricht. Besonders Alleinerziehende und junge Eltern sahen sich nicht länger in der Lage, Berufliches von Privatem zu trennen – Stillen während Zoom-Calls, Geschwisterstreit-Schlichten während Präsentationen, so sah die neue Realität aus.
Wenngleich inzwischen ein gewisses Maß an Normalität zurückgekehrt ist, ist Remote Work in vielen Unternehmen Teil des neuen Arbeitsalltags und die Zukunft bleibt ungewiss – eine zweite Welle könnte neue Ausgangssperren mit sich bringen. Stress und Doppelbelastung führen derzeit zu einer „Re-Traditionalisierung“, aus der resultierend Wissenschaftlerinnen einen allgemeinen Karriereeinsturz für Frauen befürchten. Jutta Allmendinger, Präsidentin des Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung, äußerte in der Talkshow „Anne Will”, die Mehrfachbelastung könnte Männer nun einfach zu den „krisenfesteren Angestellten” machen und Frauen zurück an den Herd drängen. Allmendinger macht strukturelle Schwächen schon im Vorfeld der Pandemie dafür verantwortlich: Es herrsche die allgemeine Annahme, dass nur dann Lohngleichheit und Gerechtigkeit zwischen Männern und Frauen bestehe, wenn sich Frauen ganz männlichen Erwerbsbiografien anpassen und konsequent in Vollzeit tätig sind. Kinder, pflegebedürftige Angehörige und stärker anfallende Hausarbeit machten dies in den vergangenen Monaten unmöglich „Die Infrastruktur fällt also weg, die Politik legt keinen großen Wert auf Familien in den ersten Wochen, und schwuppdiwupp sind die traditionellen Geschlechterschemata und Stereotypisierungen plötzlich wieder da”, erklärte sie im Interview mit dem NDR.
Eine Studie der Universitäten von Kent und Birmingham untersuchte die Auswirkungen der Corona Krise auf geschlechtliche Gleichberechtigung und mentale Gesundheit in Großbritannien. Aus 1.100 Befragten gab die breite Mehrheit der Frauen an, dass sie mehr Hausarbeiten, Kinderbetreuung und -erziehung übernahmen als Männer. Knapp 50% der befragten Frauen fühlte sich während mehr als die Hälfte des Lockdowns „gehetzt und unter Zeitnot, 46% fühlten sich die meiste Zeit „nervös und gestresst“, und nur 15% der Mütter gaben an sie waren in der Lage klare Grenzen zwischen Arbeit und Familie zu ziehen.
In Deutschland sah es ähnlich aus, zumal zusätzliche Belastung daraus entstand, dass Frauen überwiegend in systemrelevanten Berufen zuständig sind. Eine Studie der Hans Böckler Stiftung belegte: 27 % der befragten Mütter mit Kindern unter 14 Jahren, aber nur 16 % der Väter mussten ihre Arbeitszeit reduzieren, um den zusätzlichen Aufgaben nachzukommen. Nur 60 % der Paare, die vor der Krise die Betreuung daheim fair geteilt hatten, gaben an, dies auch weiterhin zu tun. Bei 30 % dieser Paare übernahmen die Frauen mehr Sorge- und Pflegearbeit, nur bei 10 % waren es die Männer.
Wer jedoch ständig an der Belastungsgrenze steht, kann weniger konzentriert und effektiv arbeiten – eine Tatsache, die Arbeitgeber künftig beim Einstellungsprozess in Betracht ziehen und Männern erneut den Vorrang geben könnten.
Auch hinsichtlich der Beschäftigungsstruktur könnte die Pandemie auf Dauer einiges ändern, zumal weitaus mehr Arbeitgeber als zuvor die Möglichkeit zur Telearbeit auch weiterhin in ihren Arbeitsverträgen verankern. Konnten 2018 nur 12 % der Beschäftigten von daheim arbeiten, waren es im April 2020 bereits mehr als 35%. Berufe, die keine direkte Anwesenheit erfordern wie im Pflege- oder Einzelhandelsbereich, werden demnach umso attraktiver für Frauen – was wiederum zu einer Zunahme des Frauenanteils in Branchen wie Technologie und IT führen könnte. Auch eine Zukunft als selbständige Unternehmerin und Neugründerin mag nun attraktiver für Frauen werden, die sich aufgrund Corona aus traditionellen Berufen gedrängt sahen.
McKinsey & Company beleuchtet in seinem Beitrag „COVID-19 and Gender Equality: Countering the Regressive Effects“ künftige Auswirkungen, wenn moderne Unternehmen dem Trend eines Rückgangs weiblicher Beschäftigten jetzt entgegenwirken, satt die COVID-Entwicklungen abzuwarten oder bei herkömmlichen Einstellungsmustern zu bleiben. Ein „Take Action Now“-Szenario bringe „erhebliche wirtschaftliche Chancen“ mit sich, ermittelte McKinsey in seiner aktuellen Studie. Dazu untersuchte man die weibliche Beschäftigung in sechs Ländern bevor und nach COVID. Ergreift man dort umgehend Maßnahmen zur Gleichberechtigung und vergleicht die Zunahme des Bruttoinlandsprodukts über die nächsten 10 Jahre, liegt dieses im Jahr 2030 theoretisch bei 13 Milliarden Dollar, 11% mehr als im Szenarium „nichts tun.“ McKinsey resümiert: Wirken Unternehmen jetzt dem aus COVID-19 entstandenen regressiven Trend nicht entgegen, sind die Auswirkungen für den finanziellen und sozialen Status, aber auch das Wirtschaftswachstum extrem negativ. Abzusehen ist hier ein Bruttoinlandsprodukt 2030 von mehr als einer Milliarde Dollar weniger im Vergleich zu einem theoretischen Modell, in dem die Corona Krise Männer und Frauen gleichermaßen belastete. Im Gegenteil dazu jetzt in Frauen zu investieren fördert nicht nur Gleichberechtigung, sondern bewirkt auch erhebliches Wirtschaftswachstum.
Wenngleich sich also die Pandemie 2020 kurzfristig negativ auf Frauen und berufliche Gleichstellung auswirkte, liefert die weltweite Krise auch Gelegenheit zu fundmentalem Umdenken. Die neue Normalität bietet mit mehr Flexibilität für Mütter dank Heimarbeit, fördert die weibliche Hinwendung zu besser bezahlten Berufen, die sich ortsunabhängig ausführen lassen, und kann zu erheblichem langfristigen Wirtschaftswachstum führen, wenn Unternehmen diese Chancen frühzeitig erkennen und entsprechend handeln.
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